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Die “Gerechte Welt Hypothese” (nach Prof. Lerner)

Die Just-World-Hypothese oder der Just-World-Irrtum ist die kognitive Voreingenommenheit, die davon ausgeht, dass “die Menschen das bekommen, was sie verdienen” – dass Handlungen moralisch gerechte und angemessene Konsequenzen für den Akteur haben werden. Die Annahme, dass edle Handlungen letztendlich belohnt und böse Handlungen letztendlich bestraft werden, fällt beispielsweise unter diese Hypothese. Mit anderen Worten, die Gerechtigkeitshypothese ist die Tendenz, Konsequenzen entweder einer universellen Kraft, die das moralische Gleichgewicht wiederherstellt, oder einer universellen Verbindung zwischen der Natur von Handlungen und ihren Ergebnissen zuzuschreiben bzw. Konsequenzen als Ergebnis davon zu erwarten. Dieser Glaube impliziert im Allgemeinen die Existenz von kosmischer Gerechtigkeit, Schicksal, göttlicher Vorsehung, Wüste, Stabilität, Ordnung oder Karma. Sie wird oft mit einer Reihe von grundlegenden Irrtümern in Verbindung gebracht, insbesondere im Hinblick auf die Rationalisierung des Leidens mit der Begründung, dass die Leidtragenden es “verdient” hätten.

Die Hypothese taucht in der englischen Sprache häufig in verschiedenen Redewendungen auf, die eine garantierte Bestrafung für Fehlverhalten implizieren, wie z. B.: “Du hast bekommen, was du verdient hast”, “Was man nicht weiß, macht man nicht heiß”, “Die Hühner kommen nach Hause”, “Alles geschieht aus einem bestimmten Grund” und “Man erntet, was man sät”. Seit Melvin J. Lerner Anfang der 1960er Jahre eine bahnbrechende Arbeit über den Glauben an eine gerechte Welt verfasst hat, wurde diese Hypothese von Sozialpsychologen eingehend untersucht, wobei die Vorhersagekraft der Hypothese in verschiedenen Situationen und Kulturen untersucht und das theoretische Verständnis des Glaubens an eine gerechte Welt geklärt und erweitert wurde.

Melvin Lerner

Lerner sah sich veranlasst, Gerechtigkeitsüberzeugungen und die Just-World-Hypothese im Rahmen einer sozialpsychologischen Untersuchung negativer sozialer und gesellschaftlicher Interaktionen zu untersuchen. Lerner sah seine Arbeit als Erweiterung von Stanley Milgrams Arbeit über Gehorsam. Er wollte die Frage beantworten, wie Regime, die Grausamkeiten und Leiden verursachen, die Unterstützung der Bevölkerung aufrechterhalten, und wie Menschen dazu kommen, soziale Normen und Gesetze zu akzeptieren, die Elend und Leiden verursachen.

Lerner wurde bei seinen Untersuchungen davon beeinflusst, dass er immer wieder die Tendenz von Beobachtern beobachtete, die Opfer für ihr Leiden verantwortlich zu machen. Während seiner klinischen Ausbildung als Psychologe beobachtete er die Behandlung psychisch Kranker durch die Ärzte, mit denen er zusammenarbeitete. Obwohl Lerner wusste, dass es sich bei ihnen um gutherzige, gebildete Menschen handelte, gaben sie den Patienten oft die Schuld an ihrem eigenen Leiden. Lerner beschreibt auch, wie überrascht er war, als er hörte, wie seine Studenten die Armen herabsetzten (verunglimpften, herabsetzten), ohne die strukturellen Kräfte zu kennen, die zur Armut beitragen.[5] Der Wunsch, die Prozesse zu verstehen, die diese Phänomene verursachten, veranlasste Lerner, seine ersten Experimente zu dem durchzuführen, was heute als Just-World-Hypothese bezeichnet wird.

Theory

Um die Ergebnisse dieser Studien zu erklären, stellte Lerner die These auf, dass der Glaube an eine gerechte Welt weit verbreitet sei. Eine gerechte Welt ist eine Welt, in der Handlungen und Bedingungen vorhersehbare, angemessene Konsequenzen haben. Bei diesen Handlungen und Bedingungen handelt es sich in der Regel um Verhaltensweisen oder Eigenschaften von Personen. Die spezifischen Bedingungen, die bestimmten Konsequenzen entsprechen, werden durch die Normen und Ideologien einer Gesellschaft sozial bestimmt. Lerner stellt den Glauben an eine gerechte Welt als funktional dar: Er hält die Vorstellung aufrecht, dass man die Welt in einer vorhersehbaren Weise beeinflussen kann. Der Glaube an eine gerechte Welt funktioniert als eine Art “Vertrag” mit der Welt über die Folgen des Verhaltens. Dies ermöglicht es den Menschen, für die Zukunft zu planen und ein effektives, zielgerichtetes Verhalten an den Tag zu legen. Lerner fasste seine Erkenntnisse und seine theoretische Arbeit 1980 in seiner Monographie The Belief in a Just World: A Fundamental Delusion.

Lerner stellte die Hypothese auf, dass der Glaube an eine gerechte Welt für die Menschen von entscheidender Bedeutung für ihr eigenes Wohlbefinden ist. Doch die Menschen werden täglich mit Beweisen dafür konfrontiert, dass die Welt nicht gerecht ist: Menschen leiden ohne ersichtlichen Grund. Lerner erklärte, dass Menschen Strategien anwenden, um Bedrohungen für ihren Glauben an eine gerechte Welt zu beseitigen. Diese Strategien können rational oder irrational sein. Zu den rationalen Strategien gehören das Akzeptieren der Realität von Ungerechtigkeit, der Versuch, Ungerechtigkeit zu verhindern oder Wiedergutmachung zu leisten, und das Akzeptieren der eigenen Grenzen. Zu den nicht-rationalen Strategien gehören Leugnung, Rückzug und Umdeutung des Ereignisses[9].

Es gibt einige Arten der Umdeutung, die ein Ereignis mit dem Glauben an eine gerechte Welt in Einklang bringen können. Man kann das Ergebnis, die Ursache und/oder den Charakter des Opfers umdeuten. Wenn man die Ungerechtigkeit des Leidens unschuldiger Menschen beobachtet, besteht eine wichtige Möglichkeit, die Wahrnehmung eines Ereignisses umzudeuten, darin, das Opfer des Leidens als verdient zu interpretieren. Ein Großteil der psychologischen Forschung über den Glauben an eine gerechte Welt hat sich auf diese negativen sozialen Phänomene des Victim Blaming und der Abwertung von Opfern in verschiedenen Kontexten konzentriert.

Eine weitere Auswirkung dieses Denkens besteht darin, dass sich Menschen weniger persönlich verletzlich fühlen, weil sie nicht glauben, dass sie etwas getan haben, um negative Ergebnisse zu verdienen oder zu verursachen. Dies hängt mit der von Sozialpsychologen beobachteten eigennützigen Verzerrung zusammen.

Viele Forscher haben den Glauben an die gerechte Welt als Beispiel für die Kausalattribution interpretiert. Beim Victim Blaming werden die Ursachen der Viktimisierung eher einer Person als einer Situation zugeschrieben. Die Folgen des Glaubens an eine gerechte Welt können also mit bestimmten Mustern der Kausalattribution zusammenhängen oder durch sie erklärt werden.

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Aktuelle Forschung

Obwohl sich ein Großteil der anfänglichen Arbeiten über den Glauben an eine gerechte Welt auf seine negativen sozialen Auswirkungen konzentrierte, deuten andere Forschungen darauf hin, dass der Glaube an eine gerechte Welt gut und sogar notwendig für die psychische Gesundheit ist.[ Der Glaube an eine gerechte Welt wird mit größerer Lebenszufriedenheit und größerem Wohlbefinden sowie mit weniger depressiven Verstimmungen in Verbindung gebracht. Forscher untersuchen aktiv die Gründe, warum der Glaube an eine gerechte Welt diese Beziehung zur psychischen Gesundheit haben könnte; es wurde vorgeschlagen, dass ein solcher Glaube eine persönliche Ressource oder Bewältigungsstrategie sein könnte, die den mit dem täglichen Leben und mit traumatischen Ereignissen verbundenen Stress abpuffert. [Diese Hypothese legt nahe, dass der Glaube an eine gerechte Welt als positive Illusion verstanden werden kann.In Übereinstimmung mit dieser Perspektive legen neuere Forschungen auch nahe, dass der Glaube an eine gerechte Welt den bekannten statistischen Zusammenhang zwischen Religiosität/Spiritualität und psychischem Wohlbefinden erklären könnte.[39] Einige Forschungen zum Glauben an eine gerechte Welt wurden im Rahmen der Urweltüberzeugungen durchgeführt und haben starke Korrelationen zwischen dem Glauben an eine gerechte Welt und dem Glauben an eine sichere, reichhaltige und kooperative Welt (neben anderen Eigenschaften) festgestellt.

Einige Studien zeigen auch, dass der Glaube an eine gerechte Welt mit dem internen Kontrollzentrum korreliert. Ein starker Glaube an eine gerechte Welt wird mit einer größeren Akzeptanz und einer geringeren Unzufriedenheit mit negativen Ereignissen im Leben in Verbindung gebracht. Dies könnte eine Möglichkeit sein, wie der Glaube an eine gerechte Welt die psychische Gesundheit beeinflusst. Andere haben vorgeschlagen, dass diese Beziehung nur für den Glauben an eine gerechte Welt für sich selbst gilt. Der Glaube an eine gerechte Welt für andere steht stattdessen im Zusammenhang mit den in anderen Studien beobachteten negativen sozialen Phänomenen der Opferbeschuldigung und der Abwertung von Opfern.

Es wurde auch festgestellt, dass der Glaube an eine gerechte Welt die wahrgenommene Wahrscheinlichkeit der Bevorzugung von Verwandten negativ vorhersagt.[54] Die Perspektive des Individuums spielt bei dieser Beziehung eine wichtige Rolle, so dass der allgemeine Glaube an eine gerechte Welt der stärkere Prädiktor ist, wenn sich die Menschen als bloße Beobachter von Ungerechtigkeit vorstellen, und der persönliche Glaube an eine gerechte Welt der stärkere Prädiktor ist, wenn sie sich als Opfer von Ungerechtigkeit vorstellen. Dies ist ein weiterer Beleg für die Unterscheidung zwischen allgemeiner und persönlicher Überzeugung von einer gerechten Welt.

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Levine, J., & Hogg, M.. (2014). Just World Hypothesis. In Encyclopedia of Group Processes & Intergroup Relations

Plain numerical DOI: 10.4135/9781412972017.n153
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Chatfield, T., & Chatfield, T.. (2022). The Just World Hypothesis and Coherence Effects. In Heuristics and Cognitive Biases

Plain numerical DOI: 10.4135/9781071880166
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Harding, W. G., McConatha, J. T., & Kumar, V. K.. (2020). The relationship between just world beliefs and life satisfaction. International Journal of Environmental Research and Public Health

Plain numerical DOI: 10.3390/ijerph17176410
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Denke, C., Rotte, M., Heinze, H. J., & Schaefer, M.. (2014). Belief in a just world is associated with activity in insula and somatosensory cortices as a response to the perception of norm violations. Social Neuroscience

Plain numerical DOI: 10.1080/17470919.2014.922493
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Lerner, M. J., & Miller, D. T.. (1978). Just world research and the attribution process: Looking back and ahead. Psychological Bulletin

Plain numerical DOI: 10.1037/0033-2909.85.5.1030
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